Aufzeichnungen aus dem Kellerloch: Wie wird sich unsere Welt in 12 Monaten (bis etwa zum Juni 2021) durch Covid-19 verändert haben?

2 Jun

Wenn ich richtig gerechnet habe, schreiben wir die 12. Woche, in der die Corona-Pandemie hier in Deutschland unsere alltäglichen Lebenswelten bestimmt. Ich habe mich vom ersten Tag an gefragt, was das alles mit uns machen wird; mit uns und der Welt. Sicher: Zu Beginn habe ich auch Szenarien für möglich gehalten, in denen die Welt eine gänzlich andere sein würde. Manchmal habe ich mich sogar dabei erwischt, zu glauben, dass in dieser ganzen sogenannten Krise eine Kraft sich Bahn brechen könnte, die in vielen Lebensbereichen (Solidarität, Klima, Demokratie usw.) eine Renaissance des Guten Lebens begründet. Wie einfältig! Gerade in den letzten Wochen beobachte ich mich dabei, wie ich diesen Gedanken gar nicht mehr denken kann. Was ist passiert? Was ist mir passiert?

Zuerst: Das heißt nicht, dass ich nicht weiter all das tue, was in meiner bescheidenen Macht steht, um ein Gutes Leben zu führen, um andere dafür zu begeistern und nicht zuletzt solidarisch daran mitzutun, mit den bescheidenden Mitteln des Einzelnen zu helfen. Ich bin Mitglied einer Landwirtschaftsgenossenschaft geworden. Ich verwende neuerdings plastikfreie Beutel beim Gemüseeinkauf. Ich habe Geld gespendet – hier und da und dort auch. Soweit, so gut; richtige wie ohnmächtige Nachweise eines Guten Lebens. Nur: Mein Begründungshorizont für all das ist ein anderer geworden. In meiner privilegierten Weltansicht als weißer mitteleuropäischer Mann war ich bis vor 12 Wochen kühn davon überzeugt, dass eine bessere Welt möglich ist. Weil ich davon überzeugt war, habe ich mein Handeln an dieser Überzeugung ausgerichtet. Die Überzeugung ist unvergänglich. Sie ist nach wie vor in mir. Keine „Corona-Krise“ kann dieser Überzeugung etwas anhaben. Wohl aber meiner Hoffnung; der Hoffnung darauf, dass aus dieser Überzeugung heraus tatsächlich ein Gutes Leben für alle und überall möglich ist, die ist zusammengeschrumpft auf ein mickriges kleines Ding. Auch dieses kleine mickrige Hoffnung-Ding ist unvergänglich. Es lässt sich nicht aus der Welt schaffen. Es ist in mir. Aber es war schon einmal viel stärker, größer und ansehnlicher. Ich denke das ist das, was die Welt aus meiner Sicht (!) „nach Corona“ verändern wird. Ich kann gar nicht stark genug betonen, dass es eben nur meine Sicht als in Deutschland lebender weißer Mann sein kann. Hoffnung als Aussicht auf etwas Angenehmes wird noch mehr als ohnehin schon zur Mangelware. Es herrschen trübe Aussichten vor.

Schnappschuss auf einem der unzähligen Corona-Wald-Spaziergänge während des Lockdowns

Meine Hoffnung darauf, dass sich etwas ändern lässt in dieser Welt, die von Kapitalismus, Ausbeutung, Umweltverschmutzung, Egoismus und vielem mehr gewalkt wird, liegt am Boden. Diese Erfahrung wird – so denke ich – nicht nur meine, sondern die Weltsicht auch vieler anderer in einem Jahr verändert haben. Das heißt nicht, dass die Hoffnung nicht wieder erstarken kann. Das kann sie. Wenn ich mich indes frage, wie sich unsere Welt in einem Jahr verändert haben wird, dann wird meiner Auffassung nach die Gruppe derer, die sich ein Gutes Leben für alle Menschen wünschen und als Gewissenssache weiter daran arbeiten aber keine Hoffnung mehr haben, dass sich das wirklich realisieren lässt, viel größer sein, als sie es vor Covid-19 war.

Die Erfahrung bis in das Private hinein, dass Menschen der Meinung sind, eine Meinung haben zu dürfen und zu können, die sie sich bilden aus dem, was ihnen zugänglich ist und dabei gar nicht spüren wie egoistisch, unsolidarisch, konsumorientiert und menschenverachtend sie agieren, hat dem Ding Hoffnung einen Tiefschlag verpasst. Wenn man merkt, dass man selbst die, die man liebt nicht erreicht, dann tut das weh. Das klingt nun verbittert. Das ist gar nicht meine Intention. Ich konstatiere. Das beobachte ich in meinem Ausschnitt von Welt. Ich habe den Eindruck, dass alle; jede*r – ich auch – eine Wahrheit suchen – gerade in Zeiten der „Krise“. Vernunft vor diesem Hintergrund kann nichts anderes bedeuten als auszuhalten, dass es diese eine Wahrheit nicht gibt. Es hat sie nie gegeben.

So lange man selbst nicht von der Pandemie und den Maßnahmen zur Eindämmung betroffen ist – sei es durch Angehörige an Beatmungsmaschinen, von Verdienstausfall, von Existenzbedrohung von von von – so lange kann man akzeptieren, dass die Wahrheit etwas ist, das vielschichtig und vielfältig ist und naturgemäß durchdrungen von der eigenen Perspektive. Sobald aber irgendeine echte (oder gefühlte; das macht schon keinen Unterschied mehr) Betroffenheit vorliegt, scheint mir die Sehnsucht nach einer Wahrheit; nach einer Erklärung und nach einer klaren Zuordnung alle vernünftigen Argumente zu übertünchen. Ungewissheit auszuhalten, sich einzulassen, zurückzutreten und offen miteinander zu reden ohne zu moralisieren avanciert so – meiner Meinung nach – zu einer Tugend, die die Hoffnung auf ein Gutes Leben für alle am Leben hält oder eben, wenn es ihr ermangelt, die Hoffnung zu diesem kleinen mickrigen Ding degradiert.

Schnappschuss auf einem der unzähligen Corona-Wald-Spaziergänge während des Lockdowns

Uns allen fällt es schwer das Ungewisse auszuhalten; zu akzeptieren, dass es die eine Erklärung, die eine Lösung und die eine Wahrheit nicht gibt. Jede*r reagiert auf diese unerfüllte Sehnsucht mit dem, was man das Erfinden einer Wahrheit nennen könnte unter Absehung anderer Perspektiven. Mein Freund A wird die Welt noch mehr als ohnehin schon rein wirtschaftlich betrachten. Mein Freund B wird weiter rein naturwissenschaftlich auf die Welt schauen. Meine Freundin Y wird weiter vor allem mythisch die Welt erklären. Eine Wahrheit. Für jede und jeden. Alle werden sich durch Covid-19 bestätigt sehen in dem, was sie denken. Kaum eine*r wird merken, dass es den anderen genauso geht und dass alle gleichermaßen die Wahrheit für sich in Anspruch nehmen. Ich bin mittendrin. Mir geht es nicht anders.

Was das nun mit dem Guten Leben und meiner Hoffnung zu tun hat? Wenn es im Kleinen schon nicht gelingt in Anbetracht der „Krise“ umfänglich demütig, uneigensinnig und solidarisch und unbedingt kritisch gleichermaßen mit Blick für die Pluralität von Wahrheiten zu agieren, wie soll dann eine bessere Welt möglich sein?

Es ist also die Hoffnung, die ich in den Fokus stelle. Sie wird meiner Auffassung nach in einem Jahr bei all denen, die sie hatten, geschrumpft sein. All jene, die sie vor Covid-19 nicht hatten, werden sie auch jetzt nicht haben. Das ist die gesellschaftliche Veränderung, die ich sehe. Der Rückzug ins Private, die Versuche die eigene kleine Welt frei von Widersprüchen und Gefahren zu halten, werden das Zusammenleben bis in den eigenen Freundes- und Bekanntenkreis hinein noch deutlicher prägen als „vor Corona“. Gleichzeitig wird das die gesamte Gesellschaft insofern verändern, als dass die innere Ausdifferenzierung noch mehr zunehmen wird. Das, was wir bis hierhin die „soziale Spaltung“ nennen, wird sich weiter verstärken.

So weit, so… nun: Das ist die Diagnose. Wie ich mit dieser Hoffnungsschrumpferei umgehe, überlege ich mir die nächsten 12 Wochen.

Hinterlasse einen Kommentar