Aufzeichnungen aus dem Kellerloch: Wie wird sich unsere Welt in 12 Monaten (bis etwa zum Juni 2021) durch Covid-19 verändert haben?

2 Jun

Wenn ich richtig gerechnet habe, schreiben wir die 12. Woche, in der die Corona-Pandemie hier in Deutschland unsere alltäglichen Lebenswelten bestimmt. Ich habe mich vom ersten Tag an gefragt, was das alles mit uns machen wird; mit uns und der Welt. Sicher: Zu Beginn habe ich auch Szenarien für möglich gehalten, in denen die Welt eine gänzlich andere sein würde. Manchmal habe ich mich sogar dabei erwischt, zu glauben, dass in dieser ganzen sogenannten Krise eine Kraft sich Bahn brechen könnte, die in vielen Lebensbereichen (Solidarität, Klima, Demokratie usw.) eine Renaissance des Guten Lebens begründet. Wie einfältig! Gerade in den letzten Wochen beobachte ich mich dabei, wie ich diesen Gedanken gar nicht mehr denken kann. Was ist passiert? Was ist mir passiert?

Zuerst: Das heißt nicht, dass ich nicht weiter all das tue, was in meiner bescheidenen Macht steht, um ein Gutes Leben zu führen, um andere dafür zu begeistern und nicht zuletzt solidarisch daran mitzutun, mit den bescheidenden Mitteln des Einzelnen zu helfen. Ich bin Mitglied einer Landwirtschaftsgenossenschaft geworden. Ich verwende neuerdings plastikfreie Beutel beim Gemüseeinkauf. Ich habe Geld gespendet – hier und da und dort auch. Soweit, so gut; richtige wie ohnmächtige Nachweise eines Guten Lebens. Nur: Mein Begründungshorizont für all das ist ein anderer geworden. In meiner privilegierten Weltansicht als weißer mitteleuropäischer Mann war ich bis vor 12 Wochen kühn davon überzeugt, dass eine bessere Welt möglich ist. Weil ich davon überzeugt war, habe ich mein Handeln an dieser Überzeugung ausgerichtet. Die Überzeugung ist unvergänglich. Sie ist nach wie vor in mir. Keine „Corona-Krise“ kann dieser Überzeugung etwas anhaben. Wohl aber meiner Hoffnung; der Hoffnung darauf, dass aus dieser Überzeugung heraus tatsächlich ein Gutes Leben für alle und überall möglich ist, die ist zusammengeschrumpft auf ein mickriges kleines Ding. Auch dieses kleine mickrige Hoffnung-Ding ist unvergänglich. Es lässt sich nicht aus der Welt schaffen. Es ist in mir. Aber es war schon einmal viel stärker, größer und ansehnlicher. Ich denke das ist das, was die Welt aus meiner Sicht (!) „nach Corona“ verändern wird. Ich kann gar nicht stark genug betonen, dass es eben nur meine Sicht als in Deutschland lebender weißer Mann sein kann. Hoffnung als Aussicht auf etwas Angenehmes wird noch mehr als ohnehin schon zur Mangelware. Es herrschen trübe Aussichten vor.

Schnappschuss auf einem der unzähligen Corona-Wald-Spaziergänge während des Lockdowns

Meine Hoffnung darauf, dass sich etwas ändern lässt in dieser Welt, die von Kapitalismus, Ausbeutung, Umweltverschmutzung, Egoismus und vielem mehr gewalkt wird, liegt am Boden. Diese Erfahrung wird – so denke ich – nicht nur meine, sondern die Weltsicht auch vieler anderer in einem Jahr verändert haben. Das heißt nicht, dass die Hoffnung nicht wieder erstarken kann. Das kann sie. Wenn ich mich indes frage, wie sich unsere Welt in einem Jahr verändert haben wird, dann wird meiner Auffassung nach die Gruppe derer, die sich ein Gutes Leben für alle Menschen wünschen und als Gewissenssache weiter daran arbeiten aber keine Hoffnung mehr haben, dass sich das wirklich realisieren lässt, viel größer sein, als sie es vor Covid-19 war.

Die Erfahrung bis in das Private hinein, dass Menschen der Meinung sind, eine Meinung haben zu dürfen und zu können, die sie sich bilden aus dem, was ihnen zugänglich ist und dabei gar nicht spüren wie egoistisch, unsolidarisch, konsumorientiert und menschenverachtend sie agieren, hat dem Ding Hoffnung einen Tiefschlag verpasst. Wenn man merkt, dass man selbst die, die man liebt nicht erreicht, dann tut das weh. Das klingt nun verbittert. Das ist gar nicht meine Intention. Ich konstatiere. Das beobachte ich in meinem Ausschnitt von Welt. Ich habe den Eindruck, dass alle; jede*r – ich auch – eine Wahrheit suchen – gerade in Zeiten der „Krise“. Vernunft vor diesem Hintergrund kann nichts anderes bedeuten als auszuhalten, dass es diese eine Wahrheit nicht gibt. Es hat sie nie gegeben.

So lange man selbst nicht von der Pandemie und den Maßnahmen zur Eindämmung betroffen ist – sei es durch Angehörige an Beatmungsmaschinen, von Verdienstausfall, von Existenzbedrohung von von von – so lange kann man akzeptieren, dass die Wahrheit etwas ist, das vielschichtig und vielfältig ist und naturgemäß durchdrungen von der eigenen Perspektive. Sobald aber irgendeine echte (oder gefühlte; das macht schon keinen Unterschied mehr) Betroffenheit vorliegt, scheint mir die Sehnsucht nach einer Wahrheit; nach einer Erklärung und nach einer klaren Zuordnung alle vernünftigen Argumente zu übertünchen. Ungewissheit auszuhalten, sich einzulassen, zurückzutreten und offen miteinander zu reden ohne zu moralisieren avanciert so – meiner Meinung nach – zu einer Tugend, die die Hoffnung auf ein Gutes Leben für alle am Leben hält oder eben, wenn es ihr ermangelt, die Hoffnung zu diesem kleinen mickrigen Ding degradiert.

Schnappschuss auf einem der unzähligen Corona-Wald-Spaziergänge während des Lockdowns

Uns allen fällt es schwer das Ungewisse auszuhalten; zu akzeptieren, dass es die eine Erklärung, die eine Lösung und die eine Wahrheit nicht gibt. Jede*r reagiert auf diese unerfüllte Sehnsucht mit dem, was man das Erfinden einer Wahrheit nennen könnte unter Absehung anderer Perspektiven. Mein Freund A wird die Welt noch mehr als ohnehin schon rein wirtschaftlich betrachten. Mein Freund B wird weiter rein naturwissenschaftlich auf die Welt schauen. Meine Freundin Y wird weiter vor allem mythisch die Welt erklären. Eine Wahrheit. Für jede und jeden. Alle werden sich durch Covid-19 bestätigt sehen in dem, was sie denken. Kaum eine*r wird merken, dass es den anderen genauso geht und dass alle gleichermaßen die Wahrheit für sich in Anspruch nehmen. Ich bin mittendrin. Mir geht es nicht anders.

Was das nun mit dem Guten Leben und meiner Hoffnung zu tun hat? Wenn es im Kleinen schon nicht gelingt in Anbetracht der „Krise“ umfänglich demütig, uneigensinnig und solidarisch und unbedingt kritisch gleichermaßen mit Blick für die Pluralität von Wahrheiten zu agieren, wie soll dann eine bessere Welt möglich sein?

Es ist also die Hoffnung, die ich in den Fokus stelle. Sie wird meiner Auffassung nach in einem Jahr bei all denen, die sie hatten, geschrumpft sein. All jene, die sie vor Covid-19 nicht hatten, werden sie auch jetzt nicht haben. Das ist die gesellschaftliche Veränderung, die ich sehe. Der Rückzug ins Private, die Versuche die eigene kleine Welt frei von Widersprüchen und Gefahren zu halten, werden das Zusammenleben bis in den eigenen Freundes- und Bekanntenkreis hinein noch deutlicher prägen als „vor Corona“. Gleichzeitig wird das die gesamte Gesellschaft insofern verändern, als dass die innere Ausdifferenzierung noch mehr zunehmen wird. Das, was wir bis hierhin die „soziale Spaltung“ nennen, wird sich weiter verstärken.

So weit, so… nun: Das ist die Diagnose. Wie ich mit dieser Hoffnungsschrumpferei umgehe, überlege ich mir die nächsten 12 Wochen.

Neu -land, -beginn und -igkeit

28 Mai Neue Wege auf altem Pflaster

Hänsel und Gretel

Ich habe lange diesen Blog betrieben. 2009 habe ich angefangen und 2015 aufgehört. Ich bin damals Papa geworden. Ich war in der ganz heißen Phase meiner Dissertation. Mein Stipendium war ausgelaufen und ich verdingte mich nebenberuflich als Medienpädagoge, Bäumeverschneider, Strom- und Gaszählerableser und Dekorateur. Für TRACKtate war irgendwie keine Zeit mehr. Wenn ich die letzten 5 Jahre an TRACKtate dachte, an meinen Blog, dann fühlte es sich so ein bisschen an wie der Anfang von Hänsel und Gretel. Ein armer Holzfäller-Papa schickt die eigenen Kinder in den Wald, weil er meint, dass er nicht genug Ressourcen zur Verfügung hat, sich hinreichend um sie kümmern zu können. Jetzt fühlt es sich an wie das Ende von Hänsel und Gretel: Die Kinder laufen zum Holzfäller-Papa zurück und dem fällt auf wie bescheuert er war. Nun: Es gibt keine sterbende Mutter und auch keine Hexe. Damit kann ich leben. TRACKtate ist zu mir zurückgekehrt. Wie froh ich bin.

Jetzt steht hier: Neuland, Neubeginn und Neuigkeit.

Die Neuigkeit ist: Ich werde hier wieder posten. Der Neubeginn besteht darin, dass ich nicht da weitermache, wo ich 2015 aufgehört habe. Bis 2015 habe ich hier vor allem Anekdoten, Rezensionen, Radiobeiträge (damals war ich verantwortlich für zwei Radiosendungen im freien Radio in Leipzig – radio blau) und kleine Reisereportagen veröffentlicht. Gerade Letzteres kann nun dann und wann auch passieren, soll aber nicht mehr den Dreh- und Angelpunkt bilden. Also; es wäre schön, wenn es weiter den Dreh- und Angelpunkt bilden könnte, nur mache ich kein Radio mehr und reise viel weniger als damals. Insofern handelt es sich wirklich um den Versuch auf altem Pflaster neue Wege zu gehen. Darum habe ich die meisten der alten Beiträge auch hier belassen. Nun aber Neubeginn. Das hat mit Neuland zu tun.

Ich bin Kulturwissenschaftler und Philosoph. Ich habe das nicht nur studiert. Das bin ich. Das bleibe ich. Ich bin aber auch etwas anderes. Ich bin seit dem 01.01.2020 Professor im Studiengang Soziale Arbeit. Ich bin ernsthaft darum bemüht, Brücken zu bauen zwischen meinen beiden Disziplinen und der Sozialen Arbeit als professionelle Handlungswissenschaft wie es heißt. Ich denke dieses Spannungsfeld wird ein Dreh- und Angelpunkt dieses Blogs werden. Neuland. Umfänglich. Ein zweiter Schwerpunkt soll die Essayistik sein. Ich möchte wieder mehr experimentell in kleinen Traktaten meine Gedanken zu kulturellen und gesellschaftlichen Phänomenen auf die Welt loslassen. Ungefragt. Ich denke, dass das Not tut. So!

Neue Wege auf altem Pflaster

Neue Wege auf altem Pflaster Bild von Reissaamme auf Pixabay

Was ist eigentlich das Abendland?

20 Jan

Zuckmayer„[…] Stellen Sie sich doch mal Ihre Ahnenreihe vor – seit Christi Geburt. Da war ein römischer Feldhauptmann, ein schwarzer Kerl, braun wie ne reife Olive, der hat einem blonden Mädchen Latein beigebracht. Und dann kam ein jüdischer Gewürzhändler in die Familie, das war ein ernster Mensch, der ist noch vor der Heirat Christ geworden und hat die katholische Haustradition begründet. – Und dann kam ein griechischer Arzt dazu, oder ein keltischer Legionär, ein Graubündner Landsknecht, ein schwedischer Reiter, ein Soldat Napoleons, ein desertierter Kosak, ein Schwarzwälder Flözer, ein wandernder Müllerbursch vom Elsaß, ein dikker Schiffer aus Holland, ein Magyar, ein Pandur, ein Offizier aus Wien, ein französischer Schauspieler, ein böhmischer Musikant – das hat alles am Rhein gelebt, gerauft, gesoffen und gesungen und Kinder gezeugt – und – und der Goethe, der kam aus demselben Topf, und der Beethoven, und der Gutenberg, und der Matthias Grünewald, und – ach was, schau im Lexikon nach. Es waren die Besten, mein Lieber! Die Besten der Welt! Und warum? Weil sich die Völker dort vermischt haben. Vermischt – wie die Wasser aus Quellen und Bächen und Flüssen, damit sie zu einem großen, lebendigen Strom zusammenrinnen.“

Carl Zuckmayer: Des Teufels General. In: ders.: Werkausgabe in zehn Bänden. Bd. 8. Frankfurt a. M. 1978, S. 93-231, hier S. 149

„Zwei Sommer lang Indianer“ Journal Folge 6/6: Wo die Liebe hinfällt

2 Mär
Vorbemerkung: Am heutigen Samstag, den 2. März 2013 wird eine literarische Reisereportage mit dem Titel „Zwei Sommer lang Indianer“ um 14.00 Uhr auf radio blau (www.radioblau.de) welturaufgeführt. radio blau ist das freie und nichtkommerzielle Lokalradio Leipzigs. Man kann radio blau sowohl auf UKW in Leipzig als auch per Stream in der ganzen Welt hören. Ab Montag, den 25.02.2013 poste ich bis zur Welturaufführung jeden Morgen eine Geschichte aus meiner Zeit bei den Chippewa-Cree hier. So können sich alle Interessierten Schritt für Schritt auf die Reise begeben… Nachfolgend kann man bereits einen Trailer zur literarischen Reisereportage hören:

Wo die Liebe hinfällt

Als Allen Craine 1949 ein Postamt in Washington betrat, wusste er noch nicht, dass er hier den Grundstein für den Rest seines Lebens legen würde. Er war 29 Jahre alt und die Erlebnisse im Zweiten Weltkrieg ließen ihn nicht los. Bevor er 1942 einberufen wurde, hatte er ein Lehramtsstudium in Florida erfolgreich beendet. In Washington versuchte er nun nach seiner Rückkehr Fuß zu fassen und einen Job als Lehrer zu finden. Es sah schlecht aus. Er handelte sich Absage um Absage ein.

In dem kleinen Postamt wollte er nur ein Telegramm an seine Familie aufgeben. Er wollte ihnen schreiben, dass er in den nächsten Tagen nach Ohio zurückkommen würde – ohne Job. Neben dem Schalter entdeckte er jedoch ein Plakat. Zu dieser Zeit war es üblich, dass staatliche Behörden öffentliche Stellenausschreibungen in Postämtern anbringen ließen. Er hatte sich schon mehrfach auf solche Ausschreibungen beworben, aber seine Bemühungen waren stets erfolglos geblieben. Auf dem Plakat stand geschrieben, das Amt für indianische Angelegenheiten suche Leute für den Schuldienst in Indianerreservaten. Mr. Craine zögerte nicht lange. Er ging nach Hause und stellte eine Bewerbungsmappe zusammen. Wenige Tage später fuhr er nach Ohio zurück zu seiner Familie.

Allen Craine

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„Zwei Sommer lang Indianer“ Journal Folge 5/6: Was die innere Stimme zum Klingen bringt

1 Mär
Vorbemerkung: Am kommenden Samstag, den 2. März 2013 wird eine literarische Reisereportage mit dem Titel „Zwei Sommer lang Indianer“ um 14.00 Uhr auf radio blau (www.radioblau.de) welturaufgeführt. radio blau ist das freie und nichtkommerzielle Lokalradio Leipzigs. Man kann radio blau sowohl auf UKW in Leipzig als auch per Stream in der ganzen Welt hören. Ab Montag, den 25.02.2013 poste ich bis zur Welturaufführung jeden Morgen eine Geschichte aus meiner Zeit bei den Chippewa-Cree hier. So können sich alle Interessierten Schritt für Schritt auf die Reise begeben… Nachfolgend kann man bereits einen Trailer zur literarischen Reisereportage hören:

Was die innere Stimme zum Klingen bringt

Kinderaugen sehen die Welt mit anderen Augen, weil sie auf eine innere Stimme hören. Diese innere Stimme verkümmert später peu à peu mit jeder Lebensstufe. Erwachsene können sie nicht mehr hören, nicht mehr mit ihr sehen. Dabei wohnt ihr eine bestimmend-verzaubernde Qualität inne. Bei Kindern übersetzt die innere Stimme nicht unbedingt nur das, was die Augen sehen, in einen Gedanken, ein Wort oder einen Satz, sondern sie erzählt davon, was sie sehen möchte, was die Kinder sich zu sehen wünschen. Sie ist ein kindlicher Traumzauber und kleidet die Tatsachen in ein unsichtbares Gewand. Dabei ist es die kindliche Kraft der phantasievollen Verwandlung, die den Gegenstand in eine Welt entführt, die unsichtbar bleibt. Für Kinderaugen ist es daher oft zweitrangig, was man tatsächlich sieht. Diese unsichtbare Welt ist so viel bunter und mystischer. Die Kinder verteidigen sie so lange es geht gegen die Welt der Fakten, sie führen Krieg gegen die Armeen vollendeter Tatsachen. Dabei scheinen sie zu ahnen, dass diese Armeen unbesiegbar sind. Die Kindheit ist mit deren Triumph dann endgültig vorbei. Nun wohnen keine Wäschemonster mehr in Wäschekörben und der Himmel zeigt im Wolkenkino keine Märchen mehr. Das Kind ist erwachsen geworden, hat sich von der inneren Stimme emanzipiert. Kinder lernen das Sehen jetzt richtig – ohne Traumzauberkleid und Märchenwaldnebel. Die innere Stimme verstummt. Nur mit viel Mühe kann man sie später als Erwachsener wieder zum Klingen bringen. Dabei sehnt man sich doch so sehr nach der Unbeschwertheit der eigenen Kindheit. Ein Wäschekorb wird nie mehr nach Monsterkacke riechen, höchstens nach verschwitzten Sportsachen. Als Erwachsener gäbe man allerdings ein Königreich für Monsterkacke im Wäschekorb.

„Vernon The Boy“ hat seine innere Stimme wieder zum Klingen gebracht. Er sieht die Welt zwar nicht mit Kinderaugen, aber auch nicht mit denen eines Erwachsenen. Vernons Blick ist auf die Beziehungen zwischen den Dingen gerichtet, die man mit der Kraft der Augen allein nicht sehen kann. Eine Feder ist nicht nur eine Feder. Sie ist ein Symbol für Freiheit. Ebenso ist das Kreuz nicht nur ein Kreuz, ein Ring nicht nur ein Ring. Für Vernon ist jeder Gegenstand ein Symbol für etwas. Jedem Ding wohnt eine Bedeutung inne, die über seine Gegenständlichkeit hinausgeht. Ein Fenster ist bei Vernon nicht nur ein Fenster, eine Tür nicht nur eine Tür und erst Recht ist ein Baum nicht nur ein Baum.

Vernon_6

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„Zwei Sommer lang Indianer“ Journal Folge 4/6: Was Informatik mit Sweetgrass zu tun hat

28 Feb
Vorbemerkung: Am kommenden Samstag, den 2. März 2013 wird eine literarische Reisereportage mit dem Titel „Zwei Sommer lang Indianer“ um 14.00 Uhr auf radio blau (www.radioblau.de) welturaufgeführt. radio blau ist das freie und nichtkommerzielle Lokalradio Leipzigs. Man kann radio blau sowohl auf UKW in Leipzig als auch per Stream in der ganzen Welt hören. Ab Montag, den 25.02.2013 poste ich bis zur Welturaufführung jeden Morgen eine Geschichte aus meiner Zeit bei den Chippewa-Cree hier. So können sich alle Interessierten Schritt für Schritt auf die Reise begeben… Nachfolgend kann man bereits einen Trailer zur literarischen Reisereportage hören:

Was Informatik mit Sweetgrass zu tun hat

Robs Mutter öffnet eine Bürotür im College von Rocky Boy. Unvermittelt stellt sie mich einem etwas schludrig aussehenden Mann mit langen fettigen grauen Haaren vor. „Hier Gerard, das ist Philipp. Er interessiert sich auch für Rocky Boy und alle Indianerfragen. Er kommt aus Deutschland. Ihr zwei habt sicher eine Menge zu bereden. Tschüss.“ Da sitzen wir nun. Meine Gastgeberin meint es sehr gut mit mir. Die nächsten zwei Stunden knabbere ich dem grau melierten Kauz, in dessen Büro ich geschoben wurde, am Ohrläppchen. Er trägt ein Hörgerät, scheut direkten Blickkontakt und schaut aus dem verhangenen Fenster seines Büros. Sein eindrucksvoller Bauch schiebt sich zu allen Richtungen an seinen Hosenträgern vorbei. Gerard Vandeberg ist 61 Jahre alt. Das Leben hat ihn das Grummeln gelehrt. Als Informatiklehrer schützt er sich auf diese Art vor sich ständig wiederholenden Fragen, die mit ein wenig Probieren von jedem Schüler selbst beantwortet werden könnten.

Gerard Vandeberg

Gerard Vandeberg

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„Zwei Sommer lang Indianer“ Journal Folge 3/6: Wie man in Rocky Boy lebt

27 Feb
Vorbemerkung: Am kommenden Samstag, den 2. März 2013 wird eine literarische Reisereportage mit dem Titel „Zwei Sommer lang Indianer“ um 14.00 Uhr auf radio blau (www.radioblau.de) welturaufgeführt. radio blau ist das freie und nichtkommerzielle Lokalradio Leipzigs. Man kann radio blau sowohl auf UKW in Leipzig als auch per Stream in der ganzen Welt hören. Ab Montag, den 25.02.2013 poste ich bis zur Welturaufführung jeden Morgen eine Geschichte aus meiner Zeit bei den Chippewa-Cree hier. So können sich alle Interessierten Schritt für Schritt auf die Reise begeben… Nachfolgend kann man bereits einen Trailer zur literarischen Reisereportage hören:

Wie man in Rocky Boy lebt

Die sozialen Missstände, die in Indianerreservaten herrschen, sind in Rocky Boy offensichtlich. Wie ein Schleier legt sich die Armut, die hohe Kriminalitätsrate, der Alkoholismus, der Drogenkonsum, die häusliche Gewalt, die Arbeits- und Perspektivlosigkeit über die Häuser und Vorgärten. Viele Gesichter von Indianern, die ich kennenlerne, sind auf unterschiedlichste Weise von all dem gezeichnet. Oft wirken die Blicke leer und verglüht. Nicht selten zittern Männer im besten Alter, als ob sie an der Parkinson-Krankheit leiden würden. Wenn ich wissen möchte, warum Kinder bei ihren Großeltern statt bei ihren Eltern leben, bekomme ich zur Antwort, dass der Vater die Familie verlassen hätte und die Mutter oft krank und deswegen müde sei. Vor allem in den zwei Wochen nachdem die staatliche Fürsorge ausgezahlt wird, kommt es häufig vor, dass die Mütter schon mittags den Rausch vom Morgen ausschlafen müssen. Wer in Rocky Boy männlich ist und mit 30 noch nicht im Gefängnis saß, ist entweder zugezogen oder hat sich nicht erwischen lassen.

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„Zwei Sommer lang Indianer“ Journal Folge 2/6: Wie zwei Völker eins werden

26 Feb
Vorbemerkung: Am kommenden Samstag, den 2. März 2013 wird eine literarische Reisereportage mit dem Titel „Zwei Sommer lang Indianer“ um 14.00 Uhr auf radio blau (www.radioblau.de) welturaufgeführt. radio blau ist das freie und nichtkommerzielle Lokalradio Leipzigs. Man kann radio blau sowohl auf UKW in Leipzig als auch per Stream in der ganzen Welt hören. Ab Montag, den 25.02.2013 poste ich bis zur Welturaufführung jeden Morgen eine Geschichte aus meiner Zeit bei den Chippewa-Cree hier. So können sich alle Interessierten Schritt für Schritt auf die Reise begeben… Nachfolgend kann man bereits einen Trailer zur literarischen Reisereportage hören:

Wie zwei Völker eins werden

Heute leben in Rocky Boy die Chippewa-Cree-Indianer. Das ist die offizielle Schreibweise. Einen Chippewa-Cree-Indianer an sich gibt es aber eigentlich nicht. Die Chippewa und auch die Cree waren eigenständige Völker mit unterschiedlichen Siedlungsgebieten und Lebensweisen. In Rocky Boy haben sie Anfang des 20. Jahrhunderts strenggenommen „geheiratet“. Die Geschichte der Cree- und Chippewa-Indianer war bis dahin die Geschichte zweier Indianervölker auf der Flucht. Es ist die Chronik einer Odyssee von Heimatlosen, angetrieben vom Glauben an eine glückliche Zukunft und die Sehnsucht nach einem Ort, der bleibt. Ihre Geschichte beginnt in einer Zeit, in der noch keine Nationalstaaten auf dem nordamerikanischen Kontinent existieren. Sie endet mit der Gründung des kleinsten und letzten Reservats der USA im „treasure state“ Montana, dem Staat der Kostbarkeiten, von denen die Cree- wie die Chippewa-Indianer bis heute nichts abbekommen.

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„Zwei Sommer lang Indianer“ Journal Folge 1/6: Wie ich mich auf den Weg mache

25 Feb
Vorbemerkung: Am kommenden Samstag, den 2. März 2013 wird eine literarische Reisereportage mit dem Titel „Zwei Sommer lang Indianer“ um 14.00 Uhr auf radio blau (www.radioblau.de) welturaufgeführt. radio blau ist das freie und nichtkommerzielle Lokalradio Leipzigs. Man kann radio blau sowohl auf UKW in Leipzig als auch per Stream in der ganzen Welt hören. Ab Montag, den 25.02.2013 poste ich bis zur Welturaufführung jeden Morgen eine Geschichte aus meiner Zeit bei den Chippewa-Cree hier. So können sich alle Interessierten Schritt für Schritt auf die Reise begeben… Nachfolgend kann man bereits einen Trailer zur literarischen Reisereportage hören:

Wie ich mich auf den Weg mache

Mein Flugzeug landet an einem feucht-heißen Julitag in Chicago. Von hier aus beginnt meine Reise. Es sind noch knapp 2500 Kilometer bis in den Nordwesten, nach Montana in das Rocky Boy Reservat. Ich schaue mir ein wenig die Stadt an und frage mich die gesamte Zeit, wann ich eigentlich die Entscheidung getroffen habe, von Chicago bis nach Montana mit dem Auto zu fahren. Ich kann mich nicht erinnern. Ich habe mich nicht entschieden. Hätte ich mich entschieden, würde das bedeuten, ich hätte eine Wahl gehabt. Klar, ich hätte mit dem Zug fahren oder fliegen können, das war vielleicht ein Gedanke, aber keine echte Option. Es war irgendwie von vornherein klar. Die Entscheidung hat mich getroffen, bevor ich überhaupt überlegen konnte, ob ich sie hätte treffen wollen.

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Auftakt: Das große Indianer-Abenteuer-Blog-Journal +++ Trailer zur literarischen Reisereportage „Zwei Sommer lang Indianer“

23 Feb

Liebe Leserinnen und Leser,

Wie einige aufmerksame Leser_Innen meines TRACKtate-Blog wissen, verbrachte ich den Sommer 2010 im Nordwesten der USA – genauer in Montana. Dort liegt Rocky Boy – das Reservat der Chippewa-Cree-Indianer. Nach meiner Rückkehr machte ich mich daran das Erlebte niederzuschreiben mit dem Ziel eine literarische Reisereportage für das Radio zu produzieren. Ich schrieb, entwarf, verwarf und fand schlussendlich in den beiden Sprechern Mirko Kasimir und Anja Lehmann zwei Profis, die mich bei der Umsetzung meiner Idee unterstützten. Michael Seiler (u.a. Verbrannte Erde, Interstate 5 und Crottendorf) komponierte die Musik und so entstand Schritt für Schritt ein 120-minütiges Hörstück.

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